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Interview mit Lebensretterin Maria Rohrhofer


 

St.Peter in der Au, 02.12.2008

 Lebensretterinnen unter Lebensgefahr

 Anna Rohrhofer und Ihre Schwester Maria Sator erhielten kürzlich für ihren humanitären Einsatz während des NS-Regimes eine Auszeichnung beim Österreichischen Sozialforum (wir berichteten).   Sie retteten im Jahre 1945 als damals 17- bzw. 18-jährige Mädchen dreiundzwanzig jüdischen Zwangsarbeitern das Leben, indem sie diese in einem Stollen versteckten.

 Wir haben Maria Rohrhofer am Ort des Geschehens, auf ihrem Bauernhaus "Bogenmühle", wo sie auch heute noch lebt, besucht und mit ihr ein Gespräch über ihre Erlebnisse geführt:



 Frau Rohrhofer, Sie und ihre Schwester haben Ihr eigenes Leben riskiert, um anderen Menschen zu helfen.    Können sie uns erzählen wie es dazu kam ?

 Es war Mitte Juli 1944, als der Bürgermeister von St. Michael, Josef Leitner, mit einem LKW voller Juden kam, die er am Bahnhof von St. Valentin zugeteilt bekommen hatte, um uns beim Wehrbau an der Url zu helfen.   Wir brauchten dringend Arbeitskräfte, denn in den Bauernhäusern rundum fehlten ja die Männer, und seitdem das Hochwasser im Jahre 1940 das Wehr der Bogenmühle weggerissen hatte, mussten wir das Wasser in Kübeln von der Url mühsam zu Haus und Stall schleppen.

 Wer waren diese Leute und waren sie dann die erhoffte Hilfe für Sie?

 Unser "Arbeitstrupp" bestand aus 23 Juden aus Ungarn, sie waren aber ganz erschöpft und schwach.    Die meisten zwischen 50 und 60, ein Mann an die 80, fünf Frauen, darunter eine blinde, dann noch drei Ehepaare, eines mit zwei erwachsenen Töchtern, eines mit einem halbwüchsigen Sohn und eine Mutter mit vier Kindern im Alter von 5, 7, 9 und 13 Jahren.   Einer von ihnen, ein sehr rüstiger und gebildeter Mann namens Weinberger, war für den geordneten Tagesablauf der Gruppe zuständig.   Fremden Aufseher gab es keinen.

 Wo haben Sie sie untergebracht ?

 Wir haben sie zu uns ins Haus, im 1. Stock aufgenommen, 14 davon in der geräumigen Mehlstube, die Mutter mit ihren vier Kindern im Vorhaus und die dreiköpfige Arztfamilie bezog mit dem alten Herrn das kleine Zimmer nebenan.   Eine 70-Jährige hat gekocht, dabei halfen ihr alle, die nicht beim Wehrbau eingesetzt werden konnten

 Hatten sie immer genug zu essen für sich und Ihre Schützlinge?

 Mit Lebensmittelkarten aus Amstetten ging meine Schwester Maria in Begleitung von zwei jüdischen Mädchen einmal in der Woche zum Klein (heute Strini) einkaufen und zum Nefischer (heute Bittner) ums Brot.   Von uns bekamen sie jeden Tag 5 Liter Milch.   Das allein hätte ausgereicht, um ins KZ zu kommen.   Doch sogar der Bürgermeister hatte manchmal persönliche Spenden für uns, und Herr Reiter, der Fleischhauer, brachte regelmäßig zum Wochenende ein Stück Fleisch vorbei.

 Wann und warum haben Sie sie dann verstecken müssen ?

 Das war gegen Kriegsende, im Frühjahr 1945.   Die Machthaber wurden immer nervöser, die Lage für die Juden immer bedrohlicher.   Mit Herrn Weinberger berieten wir, wie wir sie alle ganz schnell verschwinden lassen könnten, falls die Gefahr sich vergrößerte.   So wurde nachts an einer geeigneten Stelle oberhalb des Hofes im steilen Gelände ein cirka 8 m langer und 2 m breiter Stollen ausgegraben.

 Mitte April erhielten wir die Nachricht, die Juden nach Göstling zu transportieren, wo sie angeblich ihre Verwandten treffen würden.   Wir waren wegen des Abschieds sehr betrübt.   Zwar haben wir um sie Angst gehabt, aber doch nicht mit dem Schlimmsten gerechnet.   Erst viel später erfuhren wir, dass die Juden dort bei lebendigem Leibe verbrannt wurden.

 Doch der Herrgott wollte es anders:  in derselben Nacht wurde der Amstettner Bahnhof bombardiert und ein Abtransport dadurch unmöglich.   Kurz darauf kam Bürgermeister Leitner mit einem Brief.   Dieser enthielt den Befehl, alle Juden von Männern des Volkssturms erschießen zu lassen.  

 Meine Schwester und ich sagten sofort: "Wir verstecken sie !".   Der Bürgermeister meinte:  "Dann bin ich auch fällig".   "Na dann versteck du dich auch", sagten wir, und so machten wir es.

 Hatten Sie nicht Angst, entdeckt zu werden ?

 Wahrscheinlich schon, wenn wir alles verstanden hätten.   Aber wir waren uns vollkommen sicher, dass wir das Richtige tun und waren zu beschäftigt, um viel über mögliche Folgen nachzudenken.   

 Wer Juden versteckt hat, wurde ins KZ geschickt, gegen Ende des Krieges auch erschossen.   Warum haben Sie so viel riskiert ?

 Wir haben die Menschen in dem einen Jahr bei uns ins Herz geschlossen.   Abgesehen von der Arztfamilie waren alle einfache Leute wie wir.   Fast jeden Abend haben wir lange in der Stube miteinander geredet, auch über den Glauben sehr heftig diskutiert, die meisten konnten ja Deutsch.

 Wie lang mussten es ihre 23 Schützlinge in diesem unterirdischen Versteck aushalten ?

 Ungefähr 4 Wochen, in denen wir sie ein- bis zweimal täglich mit Nahrungsmitteln versorgten und aufpassen mussten, dass der Weg nicht ausgetreten wurde.   Mit der Ankunft der sowjetischen Armee wendete sich das Blatt.   Da haben wir uns mit Nachbarinnen fünf Jahre lang im Stollen versteckt - immer wenn die alkoholisierten Soldaten kamen.   Vor denen haben wir schrecklich Angst gehabt, denn sie haben oft Frauen vergewaltigt.

...

Nun tauschten Schützlinge und Beschützer ihre Rollen: die Juden waren jetzt für sie Fürsprecher bei den räuberischen Besatzern.   Alle Juden, auch der Greis, konnten St. Peter unbeschadet verlassen und die Reise in ihre Heimatorte antreten.    In Ungarn erwartete sie leider noch viel größeres Elend als in Österreich, weshalb einige nach Amerika und Israel auswanderten.   Der damals 5-jährige Bub hat sie später besucht, mit einigen hatten die Schwestern Kontakt und einmal bekamen sie eine Orangenkiste aus Israel.

  Anna Rohrhofer lebt mit ihrem Mann Gottfried und Fritz, dem ältesten der 3 Söhne, sowie dessen Familie immer noch in der Bogenmühle, kocht täglich für 7 Personen und freut sich über ihre 4 Kinder, 13 Enkel und 10 Urenkel.   Ihre Schwester Maria Sator lebt mit ihrem Mann Karl ebenfalls in St.Peter und hat 3 Kinder und 5 Enkel.   (Update:  Maria Sator ist am 14.02.2009 Heim gekehrt, hier die Pate.)

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2008.05.25_10.58.01 Lebensretterin Anna Rohrhofer
Lebensretterin Anna Rohrhofer
2008.06.18_11.50.00 Maria Sator, die im II Weltkrieg Juden versteckte.
Maria Sator, die im II Weltkrieg Juden versteckte.
2008.12.01_16.54.03 Anna Rohrhofer zeigt, wo sie in ihrem Haus Juden über einem Jahr gelebt haben.
Anna Rohrhofer zeigt, wo sie in ihrem Haus Juden über einem Jahr gelebt haben.
2008.12.01_17.03.32 Anna Rohrhofer in Stuben von ihren Geburtshaus.
Anna Rohrhofer in Stuben von ihren Geburtshaus.
2018.12.18-SteyererRundschau Unser Interview mit Anna Rohrhofer in Steyerer Rundschau.
Unser Interview mit Anna Rohrhofer in Steyerer Rundschau.

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